Ein digitaler Staat braucht maschinenlesbare
und digital ausführbare Gesetze

Ein digitaler Staat braucht maschinenlesbare und digital ausführbare Gesetze

Wer surfen will, muss vor die Welle kommen. Und wer zu viele Wellen verpasst, geht langfristg baden. Dieses Bild beschreibt treffend die aktuelle Situation der Verwaltungsdigitalisierung in Deutschland. Der Ansatz, Prozesse erst bei der Rechtsanwendung zu digitalisieren, ist maximal ineffizient und ebenso ineffektiv. Ein Paradigmenwechsel, der am Gesetz selbst ansetzt, ist dringend erforderlich.

Die wahren Durchbrüche entstanden nicht durch kleine Verbesserungen, sondern durch revolutionäre Ideen, die alles auf den Kopf stellten. Ist das Mobiltelefon eigentlich aus dem Festnetz entstanden? Ist das Internet eine Weiterentwicklung des Fernsehers und der Computer eine getunte Schreibmaschine? Nein – diese Innovationen beruhen auf grundlegenden Umbrüchen, nicht auf inkrementellen Veränderungen. Und genau diesen Geist der radikalen Innovation brauchen wir jetzt: Wir müssen aufhören, digitale Pflaster auf unsere analoge Bürokratie zu kleben, und stattdessen einen wahrhaft digitalen Staat von Grund auf neu erfinden.

Der digitale Staat: "404 Not Found"

Während die digitale Revolution in anderen Ländern längst Fahrt aufgenommen hat, scheint Deutschland noch im analogen Zeitalter festzustecken. Laut einer aktuellen Studie des ifo Instituts könnte die Wirtschaftskraft um 100 Milliarden Euro jährlich steigen, würde Deutschland das Digitalisierungsniveau von Dänemark erreichen. Stattdessen dauern Antragsverfahren oft Monate oder sogar Jahre, verhindern Investitionen, blockieren Infrastrukturprojekte und frustrieren die Bürger. Fehlende digitale Schnittstellen bremsen die Auszahlung von Fördermitteln und belasten kleine sowie mittelständische Unternehmen. Die öffentliche Verwaltung selbst leidet unter Personalmangel – eine Situation, die sich durch bevorstehende Pensionierungen weiter verschärfen wird.

Unsere gesetzgeberische Kette, die von Brüssel über Berlin bis in die Kommunen reicht, gleicht einem gigantischen Stille-Post-Spiel. Jede Ebene fügt ihre eigene Interpretation hinzu, bevor das Gesetz schließlich bei den ausführenden Behörden landet. Erst hier, am Ende dieser langen Reise, wird vereinzelt versucht, den analogen Koloss in die digitale Welt zu hieven. Nehmen wir das Beispiel der Lohnsteuer: Hier ist die Arbeit der beteiligten Institutionen ein nie endendes Hamsterrad: Kaum ist eine gesetzliche Anpassung implementiert, steht schon die nächste vor der Tür. Noch absurder wird es, wenn man sich vorstellt, dass jede der 11.000 Kommunen in Deutschland ihr eigenes digitales Meldewesen entwickeln soll.

Das Ergebnis ist ein teuer bezahlter digitaler Flickenteppich: instabil, unflexibel und völlig ineffizient.

Lösungsansatz: Ein innoviertes Rechtssystem

Die Antwort liegt nicht in der projektbasierten Digitalisierung auf Anwenderebene und ebenso wenig in der unbegründeten Hoffnung, die KI würde alles lösen, was wir Menschen verbockt haben, sondern in einer radikalen Veränderung der Grundlage der Rechtssetzung und -anwendung: Gesetze sollten von Anfang an digital gedacht, als Code entwickelt und in einem maschinenlesbaren, automatisierbaren Standard publiziert werden.

Die SPRIND - Bundesagentur für Sprunginnovationen hat die Aufgabe, gesellschaftliche Entwicklungsbedarfe zu identifizieren und bahnbrechende Innovationen als mögliche Lösungsansätze zu finden und zu fördern. Für den beschriebenen Paradigmenwechsel wurde die ursprünglich für die universitäre Rechtslehre entwickelte Technologie des Berliner Unternehmens Rulemapping Group identifiziert: Ein Ansatz zur digitalisierten Visualisierung komplizierter Rechtsstrukturen einschließlich ihrer Abhängigkeiten und Verweise. Diese innovative Herangehensweise kann den Weg für eine grundlegende Neugestaltung des digitalen Staats ebnen: Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsanweisungen sollen mit einem frei verfügbaren Editor als maschinell ausführbare Regelbäume erstellt und unter einer Open-Source-Lizenz veröffentlicht werden. Dies würde nicht nur Transparenz schaffen, sondern auch die Effizienz und Flexibilität des gesamten Rechtssystems steigern. So könnten Regeländerungen zukünftig quasi per "Software-Update" umgesetzt werden schnell, präzise und ohne Transformationsfehler. Die Definition eines einheitlichen Standards würde zudem die Schaffung von Schnittstellen vereinfachen, Prozesse skalierbar machen und die direkte Einbindung innovativer Technologien wie der generativen KI ermöglichen.

Es ist höchste Zeit, dass Deutschland seinen bisherigen Ansatz in der Verwaltungsdigitalisierung überdenkt. Ein Paradigmenwechsel ist nötig, um den Alltag der Bürger spürbar zu erleichtern, um das Vertrauen in den Staat zu stärken und um die Attraktivität des Standorts Deutschland auch für internationale Investoren wieder deutlich zu steigern.

Bei SPRIND sind wir überzeugt: Entwickeln wir unser Rechtssystem als Code, können wir endlich auch mal vor die Welle kommen und das Potenzial heben.

Olaf Dressel

Um die Ecke denken - auch wenns rund läuft !

2 Monate

Und : resilente Systeme nach demokratischen Prinzipien. Auch technische Systeme können so gestaltet werden, dass demokratische Prinzipen unbreakable verankert sind. Hier sollte dringend ein ädequater Ansatz gefunden werden. Siehe Auswirkungen zentralistischer Systeme CN, US ...

Marcel Donges

wo-da.de | Inventor of Web4x | Change Agent

2 Monate

ist teil von web4 seit 2023

Prof. Dr. Heiko Krüger

Tech-focused Law Professor & Author

2 Monate

Spannender Ansatz Rafael Laguna de la Vera , wobei mir das Timing des Rulemappings im Post nicht klar wird und in dem Kontext auch nicht, wie das zum Modell unserer parlamentarischen Demokratie passt. Heißt Paradigmenwechsel für das Rechssystem irgendwie auch Paradigmenwechsel für das demokratische Modell? Zum Timing: Timing des Rulemappings zum Referentenstadium, Regierungsstadium, Stadium diverser parlamentarischer Überarbeitungen, Stadium vor/nach Lesungen/Abstimmungen im Bundestag oder erst im Bundesrat? Hinzu tritt, dass Beteiligte des parlamentarischen Verfahrens nur die menschlichenlesbare Fassung verstehen! Steht hinter der maschinellen dann gar nicht der Souverän? Kann sie gar nicht als erlassen gelten? Dann haben wir nichts gewonnen! Ich bin großer Befürworter von Digitalisierung (siehe Buch Staat 3.0). Wenn eine Digitalisierung vor Gesetztesverkündung stattfinden soll, müssen wir diese Fragen zusammen, also interdisziplinär klären. Andernfalls lasst uns weiter konsequent an der „Digitalisierungstauglichkeit“ von Gesetzten vor Verabschiedung (Ansatz verfolgen wir ja bereits) und von deren Digitalisierung nach Verkündung arbeiten. Das schließt ja kein Rulemapping aus. Was meint ihr Tom Braegelmann Stephan Breidenbach

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